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Im Gespräch

Ein Vaterunser im Luftschutzbunker

Ein 19-Jähriger aus Unterfranken berichtet von seinem Freiwilligendienst in Jerusalem

Jerusalem/Würzburg (POW) Der Würzburger Fabian Zimmermann (19) hat von August 2024 bis Mai 2025 für zehn Monate in Jerusalem gelebt. Gemeinsam mit 16 Theologiestudierenden aus Deutschland, die am Förderprogramm vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) teilgenommen haben, lebte er im Studienhaus „Beit Josef“ am Rande der Jerusalemer Altstadt. Auf dem Klostergelände der Benediktinerabtei Dormitio verrichtete Zimmermann seinen Freiwilligendienst. In die Zeit seines Aufenthalts fiel auch der iranische Raketenangriff vom 1. Oktober 2024. Wie er die Bedrohung und das Leben in Jerusalem erlebt hat, berichtet er im Interview.

POW: Was hat Sie dazu bewogen, ein Jahr in Jerusalem zu verbringen?

Fabian Zimmermann: Für mich war schon nach dem Abitur klar, dass ich ein Jahr Auszeit nehmen will, bevor ich mit dem Studium beginne. Mein Vater pflegt schon viele Jahre eine gute Freundschaft mit dem Abt der Dominikaner in Jerusalem. Dadurch hatte ich das Privileg, einen Freiwilligendienst im Heiligen Land zu machen. Eigentlich läuft das über den DVHL, den Deutschen Verein vom Heiligen Land. Aber aufgrund einer Reisewarnung der Bundesregierung durfte man keinen offiziellen Freiwilligendienst in Israel leisten. Deshalb wurde es eher zu einem Volontariat und einer privaten Beschäftigung des Klosters für mich, wobei meine Aufgaben identisch zu den Freiwilligendiensten war.

POW: Welche Aufgaben waren das?

Zimmermann: Die ersten acht Monate habe ich im Theologischen Studienjahr gearbeitet. Das ist ein Förderprogramm des DAAD. Dort durfte ich den Professoren und dem wissenschaftlichen Assistenten aushelfen. Wir hatten beispielsweise wöchentliche Exkursionen, manchmal sogar über ein bis zwei Wochen. Ich habe mitgeholfen, das Studienprogramm auf die Beine zu stellen

POW: In welchem Stadtteil haben Sie gewohnt und wie würden Sie Ihre Wohnsituation beschreiben?

Zimmermann: Ich habe auf dem Berg Zion gelebt, das ist südlich an der Altstadtmauer. Auf dem Berg Zion wird auch das Pfingstfest verortet und dort befindet sich das Davidsgrab. Es ist wunderschön, da man in direkter Nähe zur Altstadt ist. Da, wo andere zum Urlaub machen hinfliegen, konnte ich jeden Morgen aufstehen und leben. Es war eher ruhig, außer samstagabends. Da ist die Shabbat-Nacht und es wird immer sehr laut, weil die Juden in der Nacht auf dem Berg das Ende des Ruhetags feiern.

POW: Wie haben Sie das Zusammenleben der verschiedenen Religionen wahrgenommen?

Zimmermann: Es war etwas Besonderes, die drei monotheistischen Weltreligionen so intensiv zu spüren. Hier in Deutschland hat man das eigentlich gar nicht. In Jerusalem nimmt man alle drei Religionen im selben Maße wahr. Die Altstadt ist geviertelt in das Jüdische Viertel, das Muslimische, Christliche und Armenische Viertel, das ein Teil des Christlichen Viertels ist, aber eigenständig von den Armeniern verwaltet wird. Die Altstadt zeigt, dass interreligiöser Austausch wunderbar funktionieren kann, was man sich in anderen Ländern wünschen würde.

POW: Welche Unterschiede haben Sie im Umgang der Religionen untereinander in Jerusalem im Vergleich zu Deutschland wahrgenommen?

Zimmermann: Die Stadt prägt das Leben und die Gesellschaft. Jerusalem ist eine Art Keimzelle und von großer Bedeutung. Jeder Glaube wird respektiert. Die Menschen begegnen sich auf Augenhöhe. Jedoch gibt es auch Ausnahmen, in denen man merkt, dass die eine Religion mit der anderen Religion doch Meinungsverschiedenheiten hat. Es gab zum Beispiel Vorfälle, in denen ein Mönch sein Kreuz offen getragen und ein orthodoxer Jude ihm hinterhergepfiffen oder beschimpft hat. Aber das waren wirklich Einzelfälle. Generell funktionieren das Zusammenleben und das Ausleben der eigenen Religion in Jerusalem sehr gut.

POW: Nach dem Angriff am 1. Oktober 2024 mussten Sie aus Israel ausreisen. Wie lief das ab?

Zimmermann: Nach dem Angriff, als der Iran Israel bombardiert hat, haben wir vom Auswärtigen Amt die Aufforderung bekommen, dass wir Israel so schnell wie möglich verlassen sollen. Wir sind am 7. und 8. Oktober nach Rom geflogen. Das internationale Studienhaus des Benediktinerordens befindet sich in Rom, im Kloster Sant Anselmo. Daher wurde das theologische Studienjahr aus Jerusalem nach Rom verlegt. Dort mussten wir ein ganz neues Konzept auf die Beine stellen. Außerdem wussten wir nicht, wann und ob wir überhaupt zurück nach Jerusalem kehren werden. Glücklicherweise durften die Studierenden Ende Dezember wieder zurück. Ich durfte schon Anfang Dezember zurückkehren, weil ich von der Abtei angewiesen wurde, die Weihnachtsaktion vorzubereiten.

POW: Wie haben Sie vor Ort in Jerusalem das Kriegsgeschehen erlebt?

Zimmermann: Das erste Mal in Kontakt mit dem Kriegsgeschehen gekommen sind wir am 1. Oktober. Schon zwei Tage vorher hatten die Medien angekündigt, dass ein Angriff des Irans unmittelbar bevorsteht. Wir hatten noch Gespräche mit dem DAAD, dem Auswärtigen Amt sowie der Botschaft. Dabei wurde leider schon entschieden, dass wir ausreisen müssen. Am 1. Oktober klingelten dann über die Handys überall Warnsignale und wir mussten uns sofort in den Schutzbunker begeben. Der Bunker war bei uns im Haus. Die Infrastruktur ist schon lange so gut ausgebaut, dass es in jedem öffentlichen Gebäude einen Schutzbunker gibt. Die Bunker sind überall ausgeschildert und es gibt auch Apps, die einem zeigen, wo der nächste Bunker ist. Im Bunker mussten wir an diesem Tag eineinhalb bis zwei Stunden verweilen, denn im Internet wurde angekündigt, dass es mehrere Wellen geben soll. Wir saßen dort und haben die Abschussraketen vom Iron Dome, dem Abwehrsystem der Israelis, gehört, wie es die Bomben des Irans abgefangen hat. Das war eine wirklich beklemmende Situation. Wir haben uns an die Hände genommen und zusammen das Vaterunser gebetet. Nach zwei Stunden gab es endlich Entwarnung. Obwohl es keinen Luftalarm mehr gab, hat man sich trotzdem noch gefürchtet. Viele sind länger im Bunker geblieben. Es gab sogar vereinzelt Studierende, die im Bunker übernachtet haben.

POW: Woher weiß man, dass ein Angriff vorbei ist?

Zimmermann: Der 1. Oktober war eine Ausnahme. Normalerweise gibt es ein Signal, das man von einer App bekommt. Die muss man sich selbst auf sein Handy downloaden. Das wurde in den letzten zwei bis drei Monaten, als ich dort war, zum Alltag. Das Signal zeigt an, dass es in ein bis zwei Minuten eventuell einen Alarm geben könnte. Es werden Raketen auf dem Radar angezeigt, die teilweise noch außerhalb von Israel sind. Dann wird berechnet, wo sie zirka einschlagen könnten. Wenn man sich in diesem Bereich aufhält, wird man benachrichtigt, dass innerhalb der nächsten zehn Minuten Bombenanschläge passieren könnten oder Trümmerteile der abgeschossenen Raketen das Gebiet treffen könnten. Danach gibt es ein zweites Signal, nachdem die Vorwarnung vorbei ist. Dann hat man 90 Sekunden Zeit, um in den Bunker zu rennen, und anschließend muss man zehn Minuten dort verweilen. Wenn nach zehn Minuten nichts passiert ist, was bei mir zum Glück immer der Fall war, durfte man wieder rauskommen und der Alltag ging weiter. Egal, ob man eben beim Essen war, beim Schreiben einer E-Mail oder in einem Gespräch mit jemandem – es ging einfach ganz normal weiter.

POW: Gab es Momente, in denen Sie überlegt haben, den Freiwilligendienst abzubrechen?

Zimmermann: Als wir nach Rom ausgereist sind und alle mit der Situation überfordert waren, gab es nicht viele Aufgaben für mich und ich habe mich nicht so integriert gefühlt. Da habe ich kurzzeitig überlegt, ob ich vielleicht abbrechen soll, weil ich mich eigentlich für Jerusalem beworben habe. Zum Glück habe ich nach wenigen Wochen das Angebot bekommen, schon früher zurück nach Jerusalem zu reisen. Dann bin ich auf eigene Faust nach Israel zurückgeflogen und habe den Mönchen im Kloster geholfen, die Weihnachtsaktion 2024 vorzubereiten. Die Dormitio-Abtei sammelt in Verbindung mit einer Spendenaktion für soziale Projekte und Einrichtungen in Bethlehem jährlich Namen, die auf einer Schriftrolle festgehalten werden. Im vergangenen Jahr waren es über 110.000 Namen. An Heiligabend sind wir mit den Mönchen und zirka 70 Pilgern um halb eins nachts vom Berg Zion nach Bethlehem zur Geburtskirche Jesu gewandert.

POW: Was haben Sie aus dem Jahr in Jerusalem für sich mitgenommen?

Zimmermann: Ich würde sagen, ich habe an Reife dazugewonnen und bin über mich hinausgewachsen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal in so eine Situation kommen werde, wie mit fremden Menschen in einem Schutzbunker zu sitzen. Spirituell habe ich mitgenommen, das, was wir in der Bibel lesen, bestimmten Orten zuordnen zu können. Ich habe jetzt einen Ort vor Augen, wenn ich in der Bibel lese, beispielsweise Golgotha oder den Ölberg. Ich würde jedem ans Herz legen, Jerusalem einmal zu besuchen, gerade den jungen Menschen. Jerusalem ist eine einzigartige Stadt. Vor allem die Freundschaften, die ich zum Kloster aufgebaut habe, und die Kontakte, die ich in Jerusalem geknüpft habe, zeigen mir, welche wichtige Rolle dieses Jahr in Jerusalem in meinem Leben spielt. Ich werde auf jeden Fall noch öfter nach Jerusalem zurückkehren. Ich habe den Mönchen angeboten, eines Tages nochmal die Weihnachtsaktion mit der Schriftrolle vorzubereiten und wieder zusammen nach Bethlehem zu tragen.

Das Interview führte Judith Reinders (POW)

(3025/0776; E-Mail voraus)

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