Kein gesellschaftlicher Zwang, keine Pflicht drängt Sie dazu, Sie können ganz frei entscheiden, ob Sie diese Gelegenheit zur Besinnung wahrnehmen wollen. Natürlich, Sie haben Recht, an diesem einen Tag hängt es nicht, aber er erinnert Sie daran, wie wichtig es ist, zur Besinnung zu kommen. Wege zu betrachten, Entscheidungen und ihre Konsequenzen zu bedenken, und einfach mal die Frage zu stellen: nach welchen Leitsätzen gestalte ich eigentlich mein Leben?
Hier setzt ein Wort von Jesus an, das man die Goldene Regel genannt hat: „Alles, was Ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen. Das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten.“ Bekannter ist allerdings die negative Form, die in Deutschland sprichwörtlich geworden ist: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Aber Jesus scheint nicht nur das Vermeiden von Verletzungen und Enttäuschungen im Auge zu haben. Was ich selbst für ein geborgenes, gelingendes Leben brauche, sollte ich auch anderen zukommen lassen. Aus Empathie. Nicht aus Berechnung. Wie sagte mal einer so weise: Ob jemand Charakter hat, erkennt man an seinem Respekt gegenüber Menschen, die ihm nicht von Nutzen sind.
Mich beeindruckt bis heute die Erfahrung einer Krankenhausseelsorgerin, die von ihrem Besuch bei einer jungen Frau erzählt. Es ist die Hochzeit von Corona. Und die Zeit, wo viele allein bleiben mit den Bedrängnissen ihrer Seele. Mit ihrer Sehnsucht nach tröstender menschlicher Nähe. In Krankenhäusern und Altenheimen. Abgeschirmt und eingeschlossen, um sie zu schützen, sagt man. Die junge Frau hat zuhause ein kleines Kind. Sie möchte bei ihrem Kind sein, es beschützen und begleiten. Und jetzt spürt sie, dass sie ihr Kind einem ungewissen Schicksal überlassen muss. Weil sie sterben wird. Die Seelsorgerin fühlt die Not der jungen Frau. Und sie weiß, was erlaubt ist in diesen Zeiten, und was streng verboten ist.
Da zieht sie ihre Plastikhandschuhe aus und berührt die junge Frau. Die spürt jetzt eine warme und sanfte Hand auf ihrer Haut. Ich bin bei dir. Leise Worte. Ein Gebet. Der Segen. Das Kreuz auf der Stirn – mit zwei Fingern zärtlich gezeichnet. Ein Moment der Geborgenheit, vielleicht auch des Trostes. Menschlichkeit, zu der Jesus ermutigen will. Unsere wohl größte Möglichkeit. Und unsere Bestimmung: Einander zu Menschen werden. Füreinander da sein, beten, segnen – all das.
Buß-und Bettag. Ein Tag zur Besinnung. Auf das, was wir sein und was wir tun können. Miteinander und füreinander.
Michael Nachtrab, Pfarrer in Partenstein