Liebe Mitbrüder,
liebe Familie Hillenbrand,
liebe Schwestern und Brüder,
„Zeugen gesucht!“
Keine der Predigten, die ich von Karl Hillenbrand gehört habe, ist mir deutlicher in Erinnerung als die mit dem Einstieg: „Zeugen gesucht!“
Immer wieder variierte er dieses Thema, das für ihn vor allem als Regens und später auch als Generalvikar die entscheidende Notwendigkeit ins Wort brachte, die auch uns heute umtreibt – zehn Jahre nach seinem so frühen und plötzlichen Tod: Dass nämlich Zeugen gesucht werden, damit die Botschaft des Evangeliums das Ohr und das Herz der Menschen erreichen kann: Zeugen, denen man vertrauen kann, weil sie die Wahrheit sagen und leben.
Für wen Zeugen gesucht werden, das war für Karl Hillenbrand in einer einzigen Person greifbar. Sein ganzes theologisches Suchen und Forschen fand seinen Ausdruck in seiner Promotionsschrift „Heil in Jesus Christus“ und er signierte sie gerne mit der Widmung aus der Feder des heiligen Paulus: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,11).
Für Karl Hillenbrand war Jesus Christus zuallererst selbst der treue Zeuge. Diesem treuen Zeugen begegnen wir heute am Christkönigssonntag im 18. Kapitel des Johannesevangeliums, wo er vor Pilatus sein Zeugnis ablegt über seine Sendung:
Um sein Urteil zu fällen, befragt Pilatus Jesus nach dem Vorwurf der Anklage: „Bist du der König der Juden?“ (Joh 18,33). Geradezu ohnmächtig steht Jesus seinem Richter gegenüber. Umso deutlicher zeigt er, dass Stärke und Gewalt nur zu den Kennzeichen der Könige dieser Welt gehören. Er selbst aber geht entschieden einen anderen Weg, wenn er sagt: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,37).
Jesus, der treue Zeuge, legt also Zeugnis ab für die Wahrheit. Worin diese Wahrheit besteht, darüber vertraut sich Jesus schon im dritten Kapitel des Johannesevangeliums im nächtlichen Gespräch dem Nikodemus an und sagt über sich und seine Sendung: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gesandt hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Das also ist die Wahrheit, für die Jesus Zeugnis ablegt und für die er bereit ist, zu sterben.
Karl Hillenbrand zog diese theologische Linie in seinen Predigten immer wieder aus, wenn er über Zeugenschaft sprach. Und von daher hat er erschlossen, wie er sich einen authentischen Zeugen des Glaubens heute vorstellt.
Liebe Schwestern und Brüder,
wie konkret Regens Karl Hillenbrand sich diese Zeugenschaft für Jesus Christus im Dienst eines Priesters vorstellte, das hat er mir bei meiner Heimatprimiz in der Pfarrei Sankt Johannes der Täufer in Brendlorenzen am 17. Oktober 1993 als Festprediger ans Herz gelegt. Wieder bezog sich unser Regens auf das Johannesevangelium und das Zeuge-Sein. Doch nun will ich Karl Hillenbrand selbst in einem längeren Zitat zu Wort kommen lassen:
„Man könnte viel über euren Kirchenpatron (Johannes den Täufer) sagen, ich möchte nur das Wort herausgreifen, mit dem er im Johannesevangelium gekennzeichnet wurde: 'Zeuge für das Licht.' Das setzt voraus, wenn einer Zeuge für das Licht sein will, dass er sich selbst zurücknehmen kann. Ein Zeuge rückt sich ja nicht in den Mittelpunkt, sondern will einen Sachverhalt aufklären, will auf etwas hinweisen. Ein Zeuge für das Licht, der hält sich nicht in erster Linie selber für erleuchtet. Ein Zeuge für das Licht ist vielmehr der, der das Leben anderer hell zu machen weiß, weil er hilft, dass das Sehvermögen der Menschen geschärft wird. Das Sehvermögen, das als Christ darin besteht, dass ich die Welt und ihre Menschen im Licht der Liebe Gottes sehen darf, weil ihm unsere Erde so viel bedeutet, dass er selbst Mensch werden will. Aus dieser Perspektive Gottes kommt die Lichtquelle für unser Leben. Und Priester ist man dann in richtiger Weise, wenn man hilft, die Lichtquelle zu erschließen, wenn man durch sein Wirken diesen Zugang zu Gott erhellt und nicht verstellt.“
(Karl Hillenbrand, Predigtmitschrift 17.10.1993).
Jesus Christus als der treue Zeuge der Liebe Gottes und Johannes der Täufer als Zeuge für das Licht, der sich selbst zurückzunehmen weiß – das waren die Eckpunkte, wenn Karl Hillenbrand zum Thema „Zeugen gesucht“ sprach. Doch es kam noch eine mutmachende Konkretion hinzu, und hier zitiere ich wieder den damaligen Regens aus der Primizpredigt:
„Ganz verschenken kann ich mich nur, wenn ich nicht nur meine Sonnenseite zeige (damit tue ich mir leicht), sondern ganz hingeben zwingt mich auch zum Verschenken meiner Schattenseiten, meiner Fehler, meiner Bruchstücke.“ Immer und immer wieder sprach Karl Hillenbrand davon, dass all unser Tun und auch unser Zeuge-Sein bruchstückhaft ist und dass wir das annehmen dürfen im Glauben, dass wir - nicht zuletzt in der Eucharistie - Jesus Christus unsere Bruchstücke hinhalten dürfen, weil der Herr dort, wo wir an unsere Grenzen stoßen, neue Wege eröffnet.
Ich bin meinem damaligen Regens Karl Hillenbrand bis heute dankbar, dass er mir diese Impulse bei der Heimatprimiz mitgegeben hat.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn wir heute den Christkönigssonntag feiern, sind wir alle aufgerufen, unsere Bereitschaft zu erneuern, ein glaubwürdiges Zeugnis für Jesus Christus in der Welt von heute zu geben. Die Christkönigsverehrung spielte in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Entgegen dem Führerkult der säkularen Gesellschaft setzten junge Katholikinnen und Katholiken ein Zeichen gegen die Ideologie des Nationalsozialismus. Wir leben 100 Jahre später erneut in Umbruchzeiten, in denen manche wieder nach einem starken Mann rufen, der alle Probleme gleich einem Messias löst. Umso mehr gilt es, dass wir als Christinnen und Christen alle gemeinsam unsere Bereitschaft erneuern, authentische Zeuginnen und Zeugen des Christkönigs in der Welt von heute zu sein:
Lassen Sie uns alle in diesem Sinne – wie Johannes der Täufer – weg von uns Menschen hin auf Jesus Christus weisen, von dem her Licht in unser Leben mit all seinen Bruchstücken fällt.
Liebe Schwestern und Brüder,
als Generalvikar bewege ich mich auf vielen Fundamenten, die mein Vor-Vorgänger Karl Hillenbrand in den 18 Jahren seines Dienstes in diesem Amt gelegt hat. Manchmal staune ich über den Weitblick, mit dem er die Sachfragen angepackt hat. Sein Wissen um die Bruchstückhaftigkeit unseres Tuns ist mir ein echter Trost. Wenn nach zehn Jahren dieses oder jenes Fundament aufgrund neuer Erkenntnisse neu justiert werden muss, geschieht dies, um unserer Zeugenschaft für das Licht heute gerecht zu werden.
Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand war ein Baumeister der Kirche von Würzburg und wir heute sind aufgerufen, an dieser unserer Kirche weiterzubauen.
Den Bauplan gibt uns erneut der Apostel Paulus an die Hand und wenn ich jetzt noch einmal aus dem 1. Korintherbrief zitiere, dann dürfen wir alle in diesem Zitat die markante Stimme Karl Hillenbrands durchklingen hören:
„Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein weiser Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,10-11)
Amen.