Gott sammelt keine Großkopferten
Vor einem Jahr war ich auf der Akropolis in Athen, vor einigen Wochen beim bayrischen Nachbau, der Walhalla bei Regensburg. Dort sind die Köpfe von Menschen „teutscher Zunge“ versammelt, die es zu großen Leistungen gebracht haben. Immerhin: es sind Leistungen, die mit wenigen Ausnahmen nichts mit Krieg zu tun haben. In der Vorstellung der Germann kam ja nach Walhall nur der (Mann), der im Kampf gestorben und vorher etliche Feinde ums Leben gebracht hatte. Hier dagegen geht es um geistige Leistungen, die wir auch viel später noch bewundern. Und finanziert wurde der Bau von Ludwig I. aus seiner Militärkasse. Allein dafür hat er es schon verdient, mitten unter all den von ihm Bewunderten zu thronen.
Schon damals gab es auch eine Handvoll Frauen (naja, Katharina die Große …). Und da in gewissen Abständen der bayerische Ministerrat auch heute noch neue Köpfe in Auftrag gibt – zuletzt Käthe Kollwitz und Max Planck – steht auch Sophie Scholl in der Halle – stellvertretend
für alle, die ihr Leben und alle Kräfte gegen die Unmenschlichkeit im nationalsozialistischen Deutschland eingesetzt haben. Auch für die, die am 20. Juli 1944 versucht haben, das Ruder herumzureißen und der Welt zu beweisen, dass es ein anderes Deutschland gibt. Sie sind gescheitert, aber viele sind froh, dass sie es wenigstens versuchten.
Das war nicht immer so. Lange hat es nach dem Krieg gedauert, bis sie nicht mehr als Verräter galten. Es gibt heute noch oder wieder Gruppen, die sie verachten. Meist dieselben, die fordern, dass – endlich -ein Schlussstrich gezogen werden sollte unter „das, was damals war“.
Da möchte ich immer fragen: „Würdest Du einen Schlussstrich ziehen, wenn Deine Großeltern und andere aus Deiner Familie ermordet würden?“ Wohl eher nicht. Warum wird der Schlussstrich immer von denen gefordert, die nicht wirklich wissen wollen, welche Rolle ihre Großeltern oder andere aus ihrer Familie in dieser Zeit spielten. Oder sich nicht gerne fragen wollen, ob sie wohl persönlich in einer solchen Zeit „sauber“ bleiben könnten. Die Gefühle der Opfer und ihrer Verwandten werden da völlig ausgeblendet.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht verführbar gewesen wäre oder erpressbar. Oder besser: Ich bin sicher, dass ich in mancher Situation leicht geglaubt hätte, ich würde mit einer Entscheidung, die halbseiden ist, Schlimmeres vermeiden können. Nach über 50 Jahren Beschäftigung mit dem Grauen dieser Zeit maße ich mir nicht mehr ab, gerecht urteilen zu können.
Viele Entscheidungen sind auch heute halbseiden, wenn man sie aus der Sicht derer anschaut, die sie – oft am Ende einer langen Kette von Konsequenzen – ausbaden müssen. Ich bin froh, dass Gott uns am kommenden Sonntag zuspricht, dass alles, was ich in meinem Leben richtig oder falsch mache, nichts an meinem Status bei Gott ändert: Ich krieg es alleine nicht hin, ein guter Mensch zu werden.
Aber er sagt: „Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus Euch: Gottes Gabe ist es:“ Mein Kopf kommt eher nicht in die Walhalla. Aber ich werde auch nicht untergehen in den Wirren meiner scheinbar guten und sicher falschen Entscheidungen. Geschenkt!? Genau das! Ein Geschenk, das ich nur im Vertrauen annehmen kann.
Barbara Weichert,
evangelisch-lutherische Pfarrerin, Zeitlofs