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„Praktizierbare und bezahlbare Lösungen sind möglich“

Podiumsdiskussion im Burkardushaus blickt auf medizinische Versorgung Geflüchteter – Professor Stich: „Jeder Mensch muss das gleiche Recht auf Gesundheitsversorgung haben“

Würzburg (POW) Zwei Stunden zu Fuß gehen, um zu einem Hausarzt zu kommen. Eine Woche mit Schlaganfall im Zimmer liegen, weil keiner den Notarzt ruft. Das sind keine Szenen aus einem fernen Land, sondern Erfahrungen von Geflüchteten in Deutschland. Medizinische Fachkräfte und Menschen im Publikum berichteten davon am Montagabend, 23. September, im Würzburger Burkardushaus bei einer Podiumsdiskussion zur medizinischen Versorgung von Geflüchteten. Die Veranstaltung stand unter dem bewusst provokanten Titel „Ist das ein Mensch, oder kann das weg?“. Auf Einladung der Domschule Würzburg berichteten Elena Wlassa, Projektleiterin (Medmissio Würzburg), Schwester Juliana Seelmann von den Oberzeller Franziskanerinnen, Fachkraft für Gesundheits- und Krankenpflege, sowie Professor Dr. August Stich, Lehrstuhl für Klinische Infektiologie an der Universität Würzburg, von ihren Erfahrungen aus der Praxis.

Moderator Michael Kuhnert, Leiter der Geschäftsstelle von Medmissio Würzburg, verwies auf die besondere Aufgabe, die Christinnen und Christen in der Gesellschaft hätten, und unterstrich das unter anderem mit einem Zitat aus „Spes non confundit“, der Verkündungsbulle des Heiligen Jahres 2025 von Papst Franziskus. Darin heißt es: „Es darf nicht an Zeichen der Hoffnung für Migranten fehlen, die ihr Land auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Familien verlassen. Ihre Erwartungen dürfen nicht durch Vorurteile und Abschottung zunichtegemacht werden.“

Professor Stich kritisierte, dass der juristische Status über die medizinische Versorgung entscheide, die einem Menschen angeboten werde. Der oft zu hörende Vorwurf einer „irregulären Migration“ lasse außer Acht, dass der Homo sapiens selbst Migrant sei, der „99 Prozent seiner Laufzeit im Osten Afrikas“ verbracht habe. Die Europäer besäßen erst seit maximal 12.000 Jahren helle Haut. „Wir müssen uns um diese Menschen kümmern“, lautete Stichs Appell. Deswegen sei 2008 auch das „Würzburger Modell“ gestartet worden: Seither kümmern sich fünf Pflegekräfte sowie stundenweise 15 Ärztinnen und Ärzte in vier Gemeinschaftsunterkünften (GUs) im Raum Würzburg um Geflüchtete, finanziert vom Freistaat Bayern. „Das kostet vordergründig zwar etwas, ist aber letztlich deutlich günstiger, als die Menschen solange unbehandelt zu lassen, bis diese sich nicht anders zu helfen wissen, als den Rettungsdienst zu alarmieren.“ Dennoch sei dieses Modell bislang noch eine Ausnahme und nicht die Regel bei der medizinischen Betreuung. „Jeder Mensch muss das gleiche Recht auf Gesundheitsversorgung haben, und der Zugang dazu muss so niederschwellig wie möglich gestaltet werden.“ Leider werde das vielen Menschen in Deutschland gezielt verweigert. „Wir erleben es jeden Tag und wollen es ändern“, sagte Stich.

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In der größten GU in Würzburg, in der Veitshöchheimer Straße, seien montags bis freitags Pflegekräfte anwesend, wie Seelmann betonte, in den drei anderen GUs auf dem Stadtgebiet seltener. „Es geht vor allem um mitfühlendes Dasein“, betonte die Oberzeller Franziskanerin. Wegen der Sprachbarrieren teilten sich die Frauen und Männer zum Teil nur mit Übersetzungs-Apps oder mit Händen und Füßen mit. „Zunächst geht es oft um Kopfschmerzen und Schlafbeschwerden.“ Dahinter verbärgen sich aber oft weitaus größere Probleme, von denen die Menschen erst mit steigendem Zutrauen berichteten. „Eine Frau hat mir kürzlich gesagt: Warum glauben mir die Menschen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht?“ Im Bescheid sei bemängelt worden, dass die Ausführungen zu einer Traumatisierung oder Bedrohung im Heimatland nicht konkret und ausführlich genug seien. „Dabei ist genau das ja auch ein Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung“, erklärte Seelmann. Es sei in dieser Situation für die Patientin sehr hilfreich gewesen, dass ihr Gegenüber ihr mitteilte: „Ich glaube Ihnen!“

Wlassa ist Ansprechpartnerin in medizinischen Fragen für rund 850 Geflüchtete in Kitzingen. 600 Personen und damit die große Mehrzahl von diesen lebt im Innopark. Ähnlich wie in der GU in der Veitshöchheimer Straße in Würzburg müssten sich dort oft Menschen aus verschiedenen Kulturen Schlafräume, Küchen und Sanitäranlagen teilen, was viele Konflikte mit sich bringe. „Menschen mit unterschiedlichen Tagesabläufen, Kulturen und Sprachen leben zu dritt in einem Zimmer, essen, lernen und schlafen dort. Man kann nie die Türe hinter sich schließen.“

Bei leichten Beschwerden wie einer Erkältung sei sie oft erste Ansprechpartnerin für die Geflüchteten und empfehle dann auch gern Hausmittel. Wo es notwendig erscheint, helfe Wlassa dann, einen Arztbesuch zu arrangieren. Geflüchtete sind nicht krankenversichert, sie müssen ihr Problem einem Sachbearbeiter schildern, um dann einen Schein zur Kostenübernahme für die ärztliche Behandlung zu erhalten. „Ich weiß nicht, ob ich als Frau meine gynäkologischen Beschwerden ausbreiten wollte, damit ich dann überhaupt die Möglichkeit zur Behandlung bekomme“, kritisierte Seelmann das System.

Selbst mit diesem Schein sei es für Geflüchtete schwer, an einen Arzttermin zu kommen, erklärte Stich: Rein betriebswirtschaftlich habe ein Hausarzt im Schnitt nur siebeneinhalb Minuten pro Konsultation für einen Patienten Zeit. „Wenn die Versorgung für reguläre Patienten oft schon immer schlechter wird, weil es zum Beispiel weniger Hausärzte gibt, wollen manche Ärzte nicht auch noch extra Zeit für Patienten aufwenden, mit denen die Verständigung schwierig ist.“ Eine Frau aus dem Publikum berichtete von Geflüchteten aus dem Landkreis Kitzingen, die nach Tauberbischofsheim fahren müssten, um zu einem Hausarzt zu kommen. Eine andere Zuhörerin beklagte das Schicksal eines minderjährigen, psychisch kranken und weniger begabten Jugendlichen, dessen Bruder verweigert werde, von Oberfranken zuzuziehen, um seinen Bruder zu unterstützen.

„Praktizierbare und bezahlbare Lösungen sind möglich“, betonte Stich. Jedoch würden diese auch von der aktuellen Ampelregierung nicht gefördert. „Das ist eine menschenverachtende Politik.“ Die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation betonten schon lange, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist.

Dennoch unterstrichen alle auf dem Podium, dass die Arbeit mit und für Geflüchtete zwar mühsam, aber sehr erfüllend sei. „Ein Mann aus Äthiopien hat acht Jahre lang mit seiner Familie auf die Anerkennung gewartet. Er durfte in dieser Zeit nicht arbeiten, was ihn wirklich krank gemacht hat. Jetzt darf er arbeiten und ist wie ausgewechselt“, berichtete Seelmann. Wlassa berichtete von dem Eifer, mit dem viele Geflüchtete in Kitzingen bemüht seien, Deutsch zu lernen. „Für mich ist das Schönste, wenn nach der Teddyklinik Kinder zu uns kommen und sagen: Das war für mich der mit Abstand schönste Tag in der Fremde.“

mh (POW)

(4024/0993; E-Mail voraus)

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